Die perverse Berichterstattung zum Flugzeugabsturz

Grad eben habe ich eine Petition unterschrieben. Der BILD-Kolumnist Franz Josef Wagner äußerte sich besonders pietätlos zum Absturz der Passagierflugmaschine. Unter anderem schrieb er: “Was alles geschah in diesem Flugzeug – bevor es abstürzte? Knabberten die Passagiere Nüsse, tranken sie Cola, guckten sie in die Sonne durch das Kabinenfenster?”

Das mag der Gipfel der Geschmacklosigkeit sein. Aber fängt die Geschmacklosigkeit bei der BILD-Zeitung an, während sogenannte Qualitätsmedien wie SZ und Spiegel Online sachlich und informativ berichten? Nein, auf allen Nachrichtenkanälen wird das Thema genüsslich ausgeschlachtet.

Eins vorneweg: Ich habe keine Lust jetzt zusammenzutragen, wer was berichtet hat und was ich daran kritikwürdig finde. Es geht auch nicht um besondere Artikel, es geht um den Stellenwert, den dieses Ereignis in den Medien bekommt. Bei SpiegelOnline und bei der Süddeutschen finden sich noch immer mehrere Artikel ganz vorne auf der Hauptseite.

Damit mich keiner falsch versteht. Natürlich handelt es sich um eine Tragödie und die Angehörigen der Opfer verdienen Mitgefühl. Doch warum richten die Onlineseiten vom Spiegel und der SZ Liveticker zu diesem Medienspektakel ein? Hier geht es doch nicht darum, sich irgendwie solidarisch zu zeigen mit den Abgestürzten. Nein, hier geht es ausschließlich um den Voyeurismus des Lesers. Da wird wild spekuliert und alle großen Medien fertigen in Windeseile Portraits vom Co-Piloten an, der die Maschine gegen einen Felsen lenkte.

Der Leser kann unter dem Deckmantel des Mitgefühls seinen Voyeurismus und seine Sensationsgeilheit ausleben und sich insgeheim im Sinne einer Abwärtsversicherung ala Dschungelcamp denken: “Gut, dass es mich nicht getroffen hat”. Voyeurismus und Sensationsgeilheit sind für sich genommen irgendwo noch zu verkraften: Das Schlimme ist die Scheinheiligkeit, mit der Medien dieses Event ausschlachten.

Die Politik muss sich natürlich auch der Sache annehmen. Dabei frage ich mich immer, wie glaubwürdig sind die Worte von Politikern wie Angela Merkel, wenn sie den Angehörigen ihr “tiefes Mitgefühl” ausdrückt. Die Frau hat so viel Stress, so viel um die Ohren und, man muss es trotz der Tragödie sagen, so viele wichtigere Probleme. Doch sie weiss natürlich auch, dass solche Katastrophen die Beliebtheit von Politikern steigern können, wenn die Medien die passenden Bilder senden. Ich denke da beispielsweise an die Wiederwahl von Gerhard Schröder durch die Flutkatastrophe im Osten Deutschlands.

Trotz der Tragik gibt es Themen, die viel wichtiger sind. Der Krieg in Saudi Arabien etwa oder die permanente Hungersnot in Afrika. Doch das zieht die Leser bei weitem nicht so an.

Problematisch ist ebenso, wenn die Politik jetzt übereilt irgendwelche Gesetzesänderungen beschließt, um die Sicherheit im Cockpit zu erhöhen. Es ist Wahnsinn: Da verübt ein psychisch angeschlagener Pilot einen Amoklauf, die Medien drehen durch und reflexhaft bringen Politiker und Medien irgendwelche Gesetzesänderungen  ins Gespräch. Jetzt sollen also immer zwei Piloten in der Flugkabine gleichzeitig sein? Nur weil ein Co-Pilot durchgedreht ist?

Es würde Sinn machen, die Ereignisse zunächst einmal sacken zu lassen und dann nüchtern an die Sache heranzugehen. Was ist der Nutzen einer zusätzlichen Sicherungsmaßnahme zum Schutz der Passagiere? Was kostet die Durchführung? Man muss akzeptieren, dass es absolute Sicherheit nicht geben kann. Bei dem Flugzeugunglück handelt es sich um ein extrem seltenes Ereignis. Daher sind zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen maximal in kleinem Umfang sinnvoll.

Doch Politiker wittern selbstverständlich ihre Chance, sich bei all der Medienhysterie zu profilieren: Und das gelingt  viel besser durch neue Gesetze als wenn man alles beim Alten lässt.

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2 Gedanken zu „Die perverse Berichterstattung zum Flugzeugabsturz“

  1. Kleiner Nachtrag zum Artikel: Heute lese ich einen Teaser der Süddeutschen Zeitung, die den Namen des Co-Piloten komplett ausgeschrieben hat.

    Was soll das? Es müssen, neben den Angehörigen der Opfer, auch die Angehörigen des Täters geschützt werden. Nicht einmal der Express hat auf seiner heutigen Titelseite den vollen Namen ausgeschrieben.

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  2. Und nicht vergessen: Es geht um Klicks!

    Je mehr Leute sich den Schmarn ansehen um so mehr verdienen die Seitenbetreiber an der Werbung!

    Wenn es sich nicht lohnen würde, würden sie es nicht tun!

    Grüße aus Dresden

    Philipp

    Antworten

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