Bahnfahren als Geschäftsmodell

Am Kölner Hauptbahnhof stand ich gerade am Fahrkartenautomat und wollte ein Ticket lösen,  als mich von hinten ein Mann, etwa Mitte 20, seriös angezogen mit Sakko, ansprach und mir ein Bahnticket zum Kauf anbot. Es handelte sich um ein Messeticket mit integrierter Bahnfahrkarte. Ich musterte ich das Ticket und sah mir auch den Verkäufer noch einmal an. Das Ticket war echt, daran zweifelte ich nicht. Ich fragte mich jedoch, ob der Mann tatsächlich nur mir ein Ticket verkaufte.

Ich kam mit ihm ins Gespräch und er erzählte mir, dass am Kölner HBF mehrere Leute unterwegs sind, die mit dem Fahrkartenhandel ihr Geld verdienen. Er selbst hatte das ganze Portmonee voller Messetickets und brachte diese jeweils für einige Euro unter die Leute. Und nicht nur mit dem Handel verdient er sein Geld: Tickethändler bieten meist auch eigene Fahrten an.

Dazu kaufen sie ein Gruppenticket, etwa das Schöne-Wochenende-Ticket oder das NRW-Ticket. Nun pendeln sie mit diesem Ticket zwischen verschiedenen Städten und nehmen auf ihren Fahrten jeweils andere Personen mit, von denen sie einen bestimmten Fahrpreis verlangen.

Legal sind diese Fahrten natürlich nicht, denn ein Gruppenticket soll für eine feste Gruppe von 5 Personen gelten und nicht für ständig wechselnde Gruppenmitglieder. Da jedoch auf dem Gruppenticket nur eine Person ihren Namen eintragen muss (und selbst kein Name auf dem Ticket nicht von allen Schaffnern beanstandet wird), können die Zusammensetzungen der Gruppen sich ständig ändern, ohne dass die Bahn etwas ausrichten kann. Da Bahnfahren zu den regulären Preisen sehr teuer ist, können die Schattenarbeiter viel Geld für die Beförderung verlangen und haben bereits nach kurzer Zeit den Preis für das Gruppenticket refinanziert. Danach wird jeder Euro Fahrkartenerlös zum Gewinn bzw. Überschuss.

Um ihre Tickets zu verkaufen oder um Mitfahrer für ihre Gruppentickets zu finden, positionieren sich die Händler an den Fahrkartenautomaten und schauen den Personen, die am Automaten ein Fahrtziel eingeben, über die Schulter. Sobald der Händler sieht, dass die Person vor ihnen ein Reiseziel angewählt hat, das sie bedienen können, sprechen sie den potentiellen Kunden an. So geschehen auch in meinem Fall.

Der freundliche, junge Herr im Sakko erzählte mir, dass sich nur bestimmte Strecken in NRW lohnen, da die Reisenden auf anderen Strecken, z.B. in der Gegend um Bonn, meist Monatstickets besitzen. Zudem war er sichtlich stolz darauf, wie gut er sich mit den Fahrplänen der Bahn und den Geltungsbereichen einzelner Tickets auskannte. Auf diesen Aspekt geht auch der unten verlinkte Zeit-Artikel ein, der sogar sagt, dass sich die Händler als ,,Kundenbetreuung der Deutschen Bahn” sehen. Zusätzlich fiel mir auf, dass sich mein Sakko-tragender Informant immer wieder unsicher umschaute und blinzelte, so als habe er Angst, dass ein anderer Tickethändler um die Ecke gebogen kommt und ihm mit der Faust ins Gesicht schlägt. Vielleicht war er jedoch nur auf der Hut vor dem Bahnhofspersonal oder der Polizei. So erzählte er mir, dass in Düsseldorf die Polizei auch ohne rechtliche Handhabe einige der Schattenarbeiter festgehalten bzw. angezeigt habe.

Vielleicht war er jedoch tatsächlich auf der Hut vor anderen Tickethändler, denn er erzählte mir, dass eine Gruppe Nordafrikaner eine Gruppe der Bahnhofshändler bilde. Insgesamt arbeitet laut seiner Aussage etwa ein Dutzend Menschen am Kölner Hauptbahnhof im Bahnticketgewerbe.

Es gibt es verschiedene kulturelle Veranstaltungen, bei denen die Anreise mit Regionalzügen im Ticket enthalten ist. Dazu zählen etwa Fussballspiele der Bundesligen, weitere Sportveranstaltungen oder Messen. Nehmen wir das Beispiel MSV Duisburg: Bei Stehplatzkarten zum Preis von 8 Euro in der zweiten Liga hätten Menschen, die am Tag eines Spiels einfach nur einen Ausflug nach Duisburg machen wollten, sehr günstig im Verkehrsgebiet VRR hin- und zurückfahren können. Die Tickethändler nutzen diese Tatsache aus, indem sie Bahnreisenden Eintrittskarten für Veranstaltungen als reine Bahntickets verkaufen.

Das Thema wurde bereits von der Zeit und welt.de aufgegriffen. Beide Artikel sind lesenswert, vor allem der Beitrag der Zeit. Ich persönlich bin von diesem Geschäftsmodell einerseits fasziniert, andererseits ist eben keine besonders sinnstiftende Tätigkeit. Zusätzlich ist es bestimmt anstrengend, ganze Tage am Bahnhof zu verbringen, Menschen am Automaten über die Schultern zu schauen und diese anzusprechen. Aber lukrativ scheint es zu sein…

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