Ich habe in den vergangenen dreieinhalb Monaten viele Tage im Callcenter gearbeitet und telefonische Befragungen durchgeführt.
Zeit für einen kleinen Bericht über anfängliche Freude und spätere quälende Eintönigkeit.
Als ich hier in Bonn anfing, in mehreren Callcentern zu arbeiten und Menschen zu verschiedenen Themen zu befragen, da hatte ich Spaß. Eine neue Tätigkeit, an die man sich erstmal gewöhnen muss.
Die Befragungen im Callcenter finden heute mit Unterstützung von Computern statt. Der Telefoninterviewer überträgt die Antworten des Befragten direkt in den Computer und liest auch die Fragen am Computer ab.
Typischerweise bieten die Markt- und Sozialforschungsinstitute deshalb vor Beginn der Tätigkeit eine Schulung an. Dort wird den Anfängern Grundlegendes wie der Umgang mit der Befragungssoftware, der Gesprächseinstieg und Inhalte zum Datenschutz vermittelt.
Spannende neue Eindrücke und Lernstoff
Am Anfang ist es spannend. Wird der Angerufene sich bereit erklären, mein Vorhaben zu unterstützen? Welchen Text sage ich zum Gesprächseinstieg, damit der Angerufene sich dazu bereit erklärt? Und welche Probleme ergeben sich während der Befragung? Da kann es etwa sein, dass eine Frage nicht präzise genug gestellt ist und der Proband fragt, wie genau die Frage gemeint sei. Typischerweise gibt man als Interviewer übrigens keine genauere Erklärung, um das Ergebnis nicht zu verfälschen. Oder der Befragte wird ungeduldig und antwortet genervt und unwirsch. Oder ein Proband fängt von sich aus an zu reden, ohne dass man eine passende Frage gestellt hätte.
Am Anfang lernte ich natürlich viel Neues. Dass es wichtig ist, zum Gesprächseinstieg einfache Begriffe zu verwenden und schnell in den Dialog zu treten. Dass es entscheidend ist, die Probanden erst einmal dazu zu bringen, das Interview zu beginnen, denn kaum einer bricht das Interview ab. Selbst wenn die Befragung länger dauert. Viele der anderen Interviewer arbeiteten deshalb mit falschen Angaben über die Dauer des Interviews. Wenn also eine angerufene Person fragte, wie lange das Interview dauert, dann wurde aus realistischen 30 Minuten gerne mal eine Viertelstunde genannt. Da mir Ehrlichkeit wichtig ist, habe ich die Verarsche in dem Maße nicht durchgezogen, sondern bin näher bei der Wahrheit geblieben.
Ebenfalls wichtig, vor allem bei Firmenbefragungen: Das Sprechtempo. Sekretärinnen und Empfangsdamen haben nicht viel Zeit. Also in aller Knappheit und mit schnellem Sprechtempo das eigene Anliegen erklären, schon hast Du mehr Erfolg.
Bestimmte Wörer meiden erfahrene Interviewer im Kontaktgespräch übrigens wie die Pest. So sprechen diese nie von Umfrage. Selbst das Wort Studie ist mittlerweile negativ besetzt bei vielen Menschen. Erhebung scheint ein Synonym zu sein, das Meinungsforscher noch ohne Probleme verwenden können.
Wenn man bei erfahreneren Kollegen hinhört, kann man sich einiges abschauen. Wie gehe ich mit Einwänden des Angerufenen um und welches Argument und welche Formulierung kann mir weiterhelfen?
Das sind also interessante Dinge, die mir auch in anderen Kontexten der Kommunikation weiterhelfen können.
Doch nach nicht allzulanger Zeit, bei mir waren das weniger als zwei Monate, stellt sich Routine ein. Immer wieder dieselben Studien mit immer denselben Fragen. Immer wieder diese ewig lange Zeit, die man bei manchen Studien damit zubringt, überhaupt mal jemanden ans Telefon zu bekommen.
Bittstellerposition nervt gewaltig
Was mich jedoch am meisten gestört hat mit der Zeit: Die durchgängig beschissene Position, in der Du andere Menschen darum bitten musst, Dein Anliegen zu unterstützen. Diese ewige Arschkriecherei. Bei umfangreicheren Befragungen willigt vielleicht jeder Fünfte ein, mit dir die Fragen durchzugehen. Die anderen 80 Prozent sind größtenteils genervt oder wütend und lassen schon mal jegliche Umgangsformen vermissen. Aufleger sind an der Tagesordnung. Andere beschweren sich, dass sie durch die vielen Anrufe terrorisiert würden. Einige davon drohen mit rechtlichen Schritten.
Eine Supervisorin erzählte mir, dass Anrufe bei Unternehmen anders seien als bei Privatleuten. Hier begegne man sich, anders als bei Gesprächen mit Privatleuten, auf Augenhöhe. Es mag ja sein, dass es wichtig ist, im Kontakt mit Geschäftskunden selbstbewusst aufzutreten. Doch wo bitte trifft man sich hier auf Augenhöhe, wenn es darum geht, einen Geschäftsführer darum zu bitten, ein paar Minuten seiner knappen Zeit für die Beantwortung von ein paar Fragen aufzuwenden.
Da hilft es dann auch nicht mehr, dass man vielleicht beim erfahrenen Nebenmann eine neue interessante Formulierung aufschnappt, die man in die eigenen Gespräche einbauen könnte. Das Lernen von Neuem macht in diesem Kontext keinen Spaß mehr. So landet man dann bei seinem Schema, mit dem man immer wieder seine Gespräche durchzieht. Die Formulierung des Anliegens, der Umgang mit Einwänden, die Überleitung zum Fragenkatalog.
Das ist dann der Untergang jeglicher Kreativität. Und dann der ganze Frust bei dieser unterirdischen Bezahlung?
Gegenpol zum tristen Dasein als Befragungsroboter nötig
Diese Betätigung lässt Dich abstumpfen. Umso wichtiger ist es, wenn man diesen Job wirklich noch weiter ausüben möchte, in seiner Freizeit Tätigkeiten nachzugehen, die einen gewissen Ideenreichtum erfordern. Es gibt viele Möglichkeiten, kreativ zu sein. Ich kann etwas basteln, malen oder zeichnen. Oder ich koche etwas Schönes, indem ich ein neues Rezept ausprobiere oder mit einer neuen Zutat experimentiere.
Der Möglichkeiten sind hier kaum Grenzen gesetzt.
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