Ich bin jetzt ein paar Jahre fertig mit meinem Universitätsstudium der Volkswirtschaftslehre in Giessen.
Zeit für einen kleinen Rückblick auf positive und negative Aspekte des Studiums.
Ich weiß noch sehr gut, dass ich mir zu Beginn meines Studiums ausmalte, dass ich die gesamtwirtschaftlichen Prozesse sehr gut verstehen würde, wenn ich erst einmal fertig mit dem Studium wäre. Wechselkurse, Auslandsinvestitionen, Exportüberschüsse, Das Auf und Ab an der Börse. Die Zusammenhänge würde ich drin haben.
In wie weit diese Idee heute der Realität entspricht, dazu später mehr.
Letztlich habe ich auch sehr viele BWL-Veranstaltungen besucht und sogar mit Controlling ein BWL-Fach vertieft. Weil jedoch die beiden anderen Tiefenfächer, Industrie- und Regulierungsökonomik sowie Institutionenökonomik aus dem Bereich der VWL waren, lautet mein Titel heute Volkswirt.
Größere Lernmenge in BWL, Inhalte der VWL komplexer
Grundsätzlich gab es zwischen BWL und VWL einen großen Unterschied. Im Groben würde ich sagen, dass BWL-Inhalte weniger kompliziert waren, die Lernmenge jedoch im Vergleich zur VWL ungleich höher. Natürlich gab es auch in BWL-Fächern wie Controlling kompliziertere Inhalte, etwa Rechnungen zur Prinzipal-Agenten-Theorie, doch grundsätzlich gab es sehr viele Dinge, die man einfach auswendig lernen musste.
Ich habe es schon einmal in einem früheren Text von mir beschrieben, wie stumpfsinnig sich manche Lerninhalte angefühlt haben. Da lernten wir beispielsweise auswendig, welche technischen Eigenschaften ein aktueller Desktop-PC aufwies oder wie eine Client-Server-Struktur aussieht.
Wenn man wie ich, wie im Text beschrieben, noch keine praktischen Erfahrungen mit solchen IT-Strukturen gesammelt hat, dann kann man mit Begriffen wie KVP-Management (siehe http://www.gisorga.de/loesungen/kvp-management) nichts anfangen und man tut sich schwer, eine Vorstellung davon zu bekommen und deshalb natürlich auch damit, solche Begriffe dauerhaft zu behalten. Achso, KVP steht übrigens für Kontinuierlicher Verbesserungsprozess.
In den VWL-Fächern wurde mir deutlich, wie kleinteilig wirkliches Verstehen ist. In der VWL arbeitet man mit Modellen, die von möglichst einfachen Annahmen ausgehen müssen, damit man mit Ihnen arbeiten kann.
Aus diesem Grund, und jetzt kommen wir zur Beantwortung meiner Ausgangsfrage, ist es sehr schwer, die Aussagen einzelner Modelle auf die Realität zu übertragen. Beispielsweise kennt das IS/LM-Modell der Makroökonomik nur einen Anleihemarkt und keinen Aktienmarkt. Monopolisten bieten, je nach Annahmen, mal zu viel und mal zu wenig Produktvielfalt an, wenn man das volkswirtschaftlich ideale Maß an Produktdifferenzierung zugrunde legt.
Ich sprach mit einem klugen Kumpel von mir darüber und dieser hat neben VWL auch Mathe studiert. Er bezeichnete die VWL-Inhalte als spannende Denksportaufgaben, deren Erkenntnisse er jedoch auch nicht auf die Realität übertragen könne.
Die besten Noten erzielt, wer stur lernt, was abgefragt wird
Letztlich kommt man an der Universität in ein System. Ein System, das die Leistung der Studenten am Ende des Semesters nach bestimmten Kriterien misst. Und wer in diesem System Erfolg haben möchte, der muss genau so lernen, wie es das System von ihm verlangt.
Da ist es nicht sinnvoll, die klassische Idee vom Studium zu haben, nach der ein Studium eine möglichst breite Bildung bedeutet. Es wird für Dich als Student nicht mit guten Noten belohnt, dir fachfremde Vorlesungen anzuhören oder zu versuchen, Gelerntes in einen Zusammenhang einzuordnen.
Es ist ja auch klar, wenn man sich einmal in die Welt der Lehrstühle hineinversetzt, die in den ersten Semestern die Leustung mehrerer Hundert Studenten bewerten müssen. Wenn es da darum ginge, umfassend das Verständnis von Zusammenhängen abzuprüfen, dann würde das Lehrstuhlpersonal heute noch daran sitzen, meine Klausur aus dem ersten Semester zu kontrollieren.
Stattdessen macht es sich das Lehrpersonal einfach und stellt Klausuren, die ganz oder zu einem großen Teil aus Multiple-Choice-Fragen bestehen. Falls es noch andere Aufgaben als Multiple Choice gibt, dann fragt man Folien ab und bewertet schematisch danach, wie viele Stichpunkte der Folien ein Student zum Zeitpunkt der Klausur parat hatte.
Wer als Student möglichst gute Noten haben möchte, der arrangiert sich und lernt flach genau die Inhalte, die abgefragt werden. Wer nach einem umfassenderen Verständnis strebt, wie meine Wenigkeit, der ist der Gelackmeierte. Wobei meine Leistungen im Vordiplom trotzdem ziemlich gut waren.
Es geht in den meisten Fächern um das Folienwissen, das man am Tag der Klausur in seinem Kopf hat. Das kann man als Bulimielernen bezeichnen. Kurz vor der Klausur wird sehr viel Wissen aufgenommen, das man kurz nach der Klausur schon nicht mehr parat hat.
Ich habe noch auf Diplom studiert. Durch die Einführung von Bachelor und Master muss sich das Studientempo noch einmal deutlich erhöht haben. Dadurch wird auch das Bulimielernen noch einmal zugenommen haben.
Selbst Experten verstehen nur einen Teil der Wirtschaft
Es ist schwierig, ein Studiensystem zu entwickeln, das mehr Wissen abfragt und nicht nur auswendig gelernte Stichpunkte. Denn die Konzeptions- und Korrekturzeit von Klausuren schießt damit exponentiell in die Höhe.
Eine Sache noch, die mir erst nach Ende meines Studiums aufgefallen ist: Im Wirtschaftsstudium in Giessen und bestimmt auch an vielen anderen Hochschulen dreht sich alles um Zahlen, um Geld und Konsum. Für mich wäre ein Fach wie Wirtschaftsethik interessant gewesen, das einen Gegenpunkt zur sonstigen Geldfixierung geboten hätte.
Ich durchblicke also heute nicht alle wirtschaftlichen Zusammenhänge. Und selbst die besten, Professoren oder sonstige Gelehrte, werden nur Teile des Ganzen verstehen, davon bin ich überzeugt. Deshalb ist es auch wichtig, skeptisch zu sein, wenn ein Chefvolkswirt einer großen Bank in einem Interview Vorraussagen über die zukünftige Börsenentwicklung macht.
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