Meine (Schock-)Erfahrungen als Zeitarbeiter (4)

Nachts auf einer Autobahnbaustelle bei Düsseldorf. In den Hauptrollen: Lärm im Tunnel. Hitze. Kaputte Handschuhe. Erschöpfung. Und ein Crash auf der Fahrbahn.

Noch einmal kurz zur Situation: Zwei Festangestellte eines Baustellenunternehmens, ein Leiharbeiterkollege und meine Wenigkeit begaben sich in zwei Lastwagen zu einer Autobahnbaustelle. Unser Job bestand darin, die gelben Fahrbahnmarkierungen von der Straße zu entfernen und die Fahrbahnbegrenzungen abzubauen.

Wir begannen also gegen 18 Uhr damit, von der gesperrten Fahrspur ganz links aus,  den äußeren Klebestreifen von der Autobahn zu ziehen bzw. zu kratzen. Dieser Fahrstreifen ließ sich noch relativ gut lösen, da dort kaum ein Auto drübergefahren war. Dennoch war die Arbeit sehr anstrengend und ich war nach kurzer Zeit außer Atem und spürte, wie meine Arme schwer wurden. Zudem behielt ich ständig die linke Autobahnspur im Blick, denn dort rauschten einen halben Meter weiter die Autos an uns vorbei. “Was, wenn ein Autofahrer unaufmerksam ist und mich umfährt?”, dachte ich. Ich bekam eine Ahnung, dass dies ein Arbeitseinsatz werden könnte, der mir noch lange in Erinnerung bleiben würde…

Irgendwann war es 19 Uhr, die Uhrzeit, ab der Autobahnarbeiter Fahrstreifen sperren können. Dazu fuhr ein Kollege mit seinem LKW Stück für Stück durch den Tunnel über die zu sperrende Fahrspur, während ich die Begrenzungspfeiler, Barken genannt, jeweils kurz vor dem LKW Richtung Fahrbahnmitte schob. Nachdem wir ein weiteres kleines Stück des gelben Fahrbahnstreifens abgezogen hatten, machten wir uns daran, andere Begrenzungspfeiler am Rande einer Autobahnauffahrt vor dem Tunnel auf den LKW zu laden. Es handelt sich um recht schwere Plastikteile, die wie Puzzleteile ineinandergesteckt sind und die zur Begrenzung der Auffahrt aufgestellt worden waren. Mein Leiharbeitskollege Peter übrigens ist 58 Jahre alt. Da fällt einem nichts mehr ein, wenn jemand in dem Alter zu solch einer schweren Arbeit auf die Autobahn geschickt wird.

Nach diesem anstrengenden Arbeitsteil gab es eine Pause. Dazu kletterten wir in unsere LKWs, die sich auf den beiden auf der linken Seite gesperrten Spuren befanden. Des Öfteren mussten wir während der Schicht übrigens die Fahrbahn überqueren, was ich als sehr belastend empfand. Mit einem falschen Schritt konnte man sich plötzlich in großer Gefahr befinden. Ständig war ich innerlich in Alarmbereitschaft und ermahnte mich zur Konzentration.

Feel the heat of the night…

AutobahntunnelNach der Pause ging es weiter mit dem Abziehen der gelben Fahrbahnstreifen. Vorher war der Verkehr von der rechten auf die linke Seite der Autobahn umgeleitet worden. Das positive an der Arbeit auf der rechten Seite war, dass man nicht mehr am Rande der Fahrbahn arbeiten musste und daher die Autos in einem gewissen Abstand an uns vorbeirauschten. Negativ war jedoch, dass die Fahrbahnstreifen zum großen Teil sehr fest auf der Fahrbahn klebten und mit der bloßen Hand nur extrem schwer zu lösen waren. Das lag daran, dass über den stark klebenden Streifenteil schon zig Autos und LKW gefahren waren.

Um uns das Ablösen der Streifen zu erleichtern, wurde der Streifen vorher mit einer Maschine erhitzt. Dazu ging einer von uns mit der benzinbetriebenen Maschine über die Streifen, während ein anderer direkt hinter ihm die Streifen abzog. Dabei war es wichtig, möglichst nahe hinter der Maschine zu laufen, weil der Streifen schnell erkaltete und dann nur noch schwer abzuziehen war. Der Nachteil an diesem Vorgehen bestand darin, dass der Streifen enorm heiß war und mich meine Handschuhe nicht ausreichend schützten. So habe ich mir mehrere Male die Finger verbrannt, was auch dadurch begünstigt wurde, dass meine Handschuhe von Anfang an arg verschlissen waren. Hinzu kam der Gestank, der durch die Abgase der Maschine und den erhitzten Fahrstreifen entstand. Dieser war auf Dauer schwer erträglich und die abgezogenen, heißen Streifen verklebten immer wieder an den Handschuhen.

Lebensgefahr bei Arbeiten auf der Fahrbahn

Gegen Ende unserer Schicht mussten wir auf einem kleinen Abschnitt auf der befahrenen Strecke den gelben Streifen entfernen. Irgendwann befand sich unser fest angestellter Kollege mit der Heißmach-Maschine auf der Fahrbahn, mit dem Rücken zur Auffahrt, von der gelegentlich Autos auf die Autobahn fuhren. Ich kniete gerade etwas weiter vorne und kratzte einen Streifenrest von der Straße, Peter machte eine kurze Pause. Plötzlich hörte ich Peter rufen, ich blickte auf, und sah einen Lieferwagen von der Auffahrt runterschießen. Aus irgendeinem Grund bremste der Fahrer nicht ab, obwohl sich unser Kollege Rainer auf der Fahrbahn befand, mit dem Rücken zum rasenden Wagen. Zack, das Auto krachte in die Heißmach-Maschine, haarscharf an unserem Kollegen vorbei. Der Lieferwagen wurde kurz langsamer, gab dann jedoch wieder Gas und fuhr auf die Autobahn davon. ,,Wir müssen runter von der Straße!” schrie der dem Tod von der Schippe gesprungene Kollege. Deshalb beeilten wir beiden uns damit, den restlichen Fahrstreifen von der befahrenen Fahrbahn zu ziehen, während Peter vorne aufpasste und versuchte, von der Auffahrt kommende Autos abzubremsen.

Irgendwann war auch diese Aufgabe erledigt. Danach fielen noch einige kleinere Aufgaben an, etwa mussten wir Schilder vor Beginn der ehemaligen Baustelle austauschen. Dazu war vorher wieder die mehrspurige, nun ungesperrte Autobahn zu überqueren, was angesichts des einsetzenden Morgenverkehrs gar nicht so leicht war und mich trotz Überlastung irgendwie wachsam bleiben ließ.

Die Rückfahrt war recht angenehm. Ich war einfach nur froh, dass ich die Nachschicht heil überstanden hatte. Rainer nahm mich mit zurück zum Firmensitz nach Dorsten. Zu Beginn dieses angenehmen Teils rechnete ich meinen Wasserkonsum während der Schicht zusammen: Es müssen etwa 3,5 Liter gewesen sein. Insgesamt sind die 13,5 Stunden doch recht schnell vergangenen, vor allem, da man ab einem bestimmten Zeitpunkt sprichwörtlich im Tunnel ist und die Zeit verfliegt.

Das Arbeitspensum von Managern ist ein Witz dagegen

Autobahntunnel2Während der Fahrt erfuhr ich, dass Rainer und sein Kollege derzeit an 7 Tagen in der Woche jeweils bis zu 14 Stunden arbeiten. Das wären 98 Stunden in der Woche, mehr als doppelt so viel, wie ein Angestellter mit 40-Stunden-Woche arbeitet. Ab und an gibt es dann aber auch Zeiten, in denen wenig Arbeit anfällt und in denen die Arbeiter ein paar Tage unter der Woche frei haben. Dennoch finde ich es unfassbar, dass Menschen mit einem derart gefährlichen Job regelmäßig Überstunden machen. Rainer sagte mir, es komme eben schonmal vor, dass ein Autobahnarbeiter ,,plattgefahren” werde, damit müsse man leben und das werde nicht zusätzlich entlohnt.

Am nächsten Tag hätte ich laut Zeitarbeitsfirma eine weitere Nachtschicht auf der Autobahn machen sollen. Das muss man sich mal vorstellen: Ich bin an dem Morgen gegen 8 Uhr eingeschlafen. Hätte ich um 17 Uhr wieder in Dorsten sein müssen, dann hätte ich gerade einmal 7 Stunden schlafen können vor der nächsten 14-Stunden-Schicht. Folglich schrieb ich der Zeitarbeitsfirma eine Mitteilung, dass ich für eine weitere Nachtschicht nicht zur Verfügung stehe.

Näheres zur Vorgeschichte dieses Einsatzes in Dorsten in Teil 3 meiner Erfahrungen mit Zeitarbeit.

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1 Gedanke zu „Meine (Schock-)Erfahrungen als Zeitarbeiter (4)“

  1. Zeitarbeit wird meistens als ach so toll und alternativ beschrieben, man kommt da nicht wieder raus. Ich selber war 3,75 Jahre bei einem Betrieb nach mehrmaligem nachfragen einer Festanstellung bin ich aus fadenscheinigen Gründen entlassen worden( toll ). Ich kann mich noch an aussagen erinnern wo es geheißen hat, Arbeit soll sich wieder lohnen, fragt sich nur für wen!! Mit 53 Jahren gehöre ich nun mal zum alten Eisen. (Arbeiten bis 67 Jahren) Dank an allen die dieses möglich gemacht haben. Mir tun aber die jungen Leute leid, die sich aufgrund der Zeitarbeit keine Zukunft aufbauen können. ( geringer Lohn trotz Ausbildung, sollen für die Rente zurücklegen und Kinder bekommen.) Schöne Aussichten !!

    Auch einen ganz besonderen dank an die Gewerkschaften, die das auch mit Unterschrieben haben. ( bin ausgetreten nach 20 Jahren )

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