Ich arbeite seit zwei Monaten im Callcenter in der Markt- und Meinungsforschung. Wir führen Umfragen durch, beispielsweise zu den Arbeitsbedingungen von Arbeitnehmern. In dieser Branche arbeiten die Menschen auf selbständiger Basis. Die Callcenter-Agenten rechnen also für Ihre Leistung einen gewissen Betrag ab. Diesen stellen Sie dem Auftraggeber, dem Callcenter, in Rechnung.
Wir berechnen heute den Mindestlohn eines Selbständigen im Callcenter.
Ich verdiente bislang etwa neun Euro in der Stunde bei den beiden Callcentern, für die ich tätig war. Laut Aussage eines Instituts soll der Stundensatz bei neun bis zwölf Euro liegen, das andere redete von acht bis neun Euro. Ich habe bislang durchschnittlich neun Euro in der Stunde verdient.
Wie realistisch ist eine Bezahlung von neun Euro für einen Selbständigen? Sollte ich den Job weitermachen oder versuchen, in ein Angestelltenverhältnis mit Mindestlohn zu wechseln?
In Deutschland gilt seit Anfang 2015 ein Mindestlohn für abhängig Beschäftigte. Zuerst betrug dieser 8,50 Euro, seit Anfang 2017 bekommen Arbeitnehmer mindestens 8,84 Euro brutto je Arbeitsstunde.
Auf Grundlage des Mindestlohns von 8,84 Euro können wir nun berechnen, wieviel Euro ein Selbständiger im Callcenter mindestens pro Arbeitsstunde abrechnen muss, um sich gleichzustellen mit einem Arbeitnehmer mit Mindestlohn. In diesem Beitrag gehen wir von einem Vollzeit-Arbeitnehmer und Vollzeit-Selbständigen mit 40-Stunden-Woche aus.
Dazu gehen wir nach dem im vorherigen Beitrag erklärten Schema vor.
Ausgangsüberlegung: Selbständiger muss mindestens die Kosten für einen Angestellten verdienen
Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist der Bruttolohn eines Angestellten mit Mindestlohn. Dieser verdient ein Vollzeit-Bruttogehalt von 1532 monatlich. Hinzu kommen etwa 19,5 Prozent Arbeitgeberanteil der Sozialbeiträge. Der daraus resultierende Wert, gerundete 1831 Euro, enthält neben dem Nettolohn und Steuern die kompletten Sozialversicherungsbeiträge, die ein Selbständiger aus eigener Tasche bezahlen muss. Die Sozialversicherungsbeiträge setzen sich im Wesentlichen aus den Beiträgen zur Kranken-,Renten-,Arbeitslosen- und Pflegeversicherung zusammen.
Weiter geht es mit der Arbeitszeit. Der Angestellte arbeitet typischerweise nicht am Wochenende. Er erhält an etwa zehn Feiertagen im Jahr weiter seinen Lohn. Dasselbe gilt an etwa 27 Urlaubstagen und im Falle von Krankheit. 10 Krankheitstage im Jahr sind realistisch. Es bleiben also 214 Arbeitstage mit im Jahr, an denen der abhängig Beschäftigte sein Jahresgehalt erwitschaftet. Bei acht Stunden täglich erhalten wir 1712 Arbeitsstunden jährlich.
Doch ein Selbständiger im Callcenter kann nicht seine vollen 1712 Stunden dem Arbeitgeber in Rechnung stellen. Er muss berücksichtigen, dass er Arbeitszeit investiert, die er nicht bezahlt bekommt. Bei einem Callcenterjob sind das in Bonn Schulungen, die nicht bezahlt werden. Teilweise muss man selbst noch eine Rechnung erstellen oder die vom Callcenter erstellte Rechnung prüfen und dem Callcenter zukünftige Arbeitszeiten mitteilen. All diese Tätigkeiten werden nicht bezahlt.
Trotzdem kann ein Telefonist im Callcenter sehr viel seiner Arbeitszeit abrechnen, ich habe 98 Prozent angenommen. 98 Prozent von 1712 Arbeitsstunden ergibt 1678 abrechenbare Stunden im Jahr. Umgerechnet auf den Monat sind dies etwa 140 Stunden.
Keine Kosten für Arbeitsausstattung sowie kein Aufschlag für das Verdienstrisiko und auftragsschwache Zeiten
Zur Vereinfachung gehen wir mal davon aus, dass keinerlei Kosten für Arbeitsausstattung anfallen. Der Telefoninterviewer arbeitet schließlich in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers. Weiterhin gehen wir davon aus, dass ich als Auftragnehmer keinerlei Entschädigung für das eigene Risiko möchte. Letztlich gehe ich jedoch davon aus, dass eine kleine Entschädigung für dieses Risiko angemessen wäre: Ein Telefonierer wird zu einem großen Teil erfolgsabhängig bezahlt und kurzfristig kann es zu schlecht bezahlten Tagen kommen, weil man die falschen Leute am Apparat hat.
Zur Vereinfachung schieben wir diese Überlegungen einmal zugunsten des Callcenters beiseite.
Zudem gehen wir davon aus, dass das Callcenter immer genug Aufträge hat, weshalb der Selbständige keinerlei Überschüsse erzielen muss für schlechtere Zeiten.
Wir können nun im letzten Schritt, bei Berücksichtigung des monatlichen Gesamtgehaltswertes von 1830,74 Euro und bei etwa 140 abrechenbaren Stunden im Monat, den Stundensatz ermitteln, den ein Selbständiger ansetzen muss, wenn er einen vergleichbaren Betrag zu einem Mindestlohnarbeiter erhalten möchte. Es ergeben sich 13,07 Euro je Stunde.
Übertragen auf Angestelltenverhältnis 6,10 Euro Stundenlohn
Bei einer tatsächlichen Bezahlung von neun Euro in der Stunde arbeite Ich als Selbständiger im Callcenter also etwa 31 Prozent unter Mindestlohn. Das ist vergleichbar mit einem Angestelltenverhältnis, in dem ich 69 Prozent vom Mindestlohn, also 6,09 Euro brutto erhalte. Wenn das keine prekäre Beschäftigung ist, weiß ich auch nicht.
Der Kalkulation liegen auftraggeberfreundliche Annahmen zugrunde. Aus diesem Grund kann der tatsächliche vergleichbare Mindestlohn etwas höher liegen. 13,07 Euro stellt eine Untergrenze für den Stundenverdienst dar, der mit dem Mindestlohn vergleichbar ist.
Im nächsten Beitrag geht es um den Stundenlohn eines Selbständigen, der 20 Stunden in der Woche im Callcenter arbeitet.
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